Beim Koalitionspartner SPD und in der Opposition sorgt die Ankündigung von CDU-Politiker und Außenminister Johann Wadephul für Empörung, wonach Deutschland künftig bei Verteidigungsausgaben ein Ziel von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung anstreben könnte. „Es wäre glatter Irrsinn, wenn wir bei solchen Beträgen landen würden“, sagte der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner dem „Stern“. „Wir müssen mehr tun, das ist klar.“ Dafür hätten Union und SPD auch die Schuldenbremse für Sicherheitsausgaben gelockert. „Aber fünf Prozent, das kann man sich nicht vorstellen. Ich fände es auch falsch und bin sicher, dass das nicht kommen wird.“
Wadephul hatte sich zuvor beim Nato-Außenministertreffen in der Türkei grundsätzlich hinter die Forderung der USA gestellt, fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. US-Präsident Donald Trump halte die fünf Prozent für notwendig, sagte er. „Und wir folgen ihm da.“ Innerhalb der Bundesregierung war dieser Vorstoß offenbar nicht abgesprochen. Sie ruderte rasch zurück. Ziele würden auf dem Nato-Gipfel festgelegt, und vorher nenne man vonseiten der Bundesregierung keine konkreten Zahlen. Derzeit investiert Deutschland etwa zwei Prozent des BIP in die Verteidigung.
SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic warnte vor vorschnellen Festlegungen: „Ich rate allen, dass niemand jetzt allein vorprescht“, sagte er dem „Stern“. Er verwies auf den Koalitionsvertrag. Dort haben Union und SPD festgehalten, sie wollen die Verteidigungsausgaben „bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigern“. Der Umfang soll sich „nach den in der Nato gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen“ richten.
Auch der neue Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil lehnte ein Vorpreschen und „über Zahlen spekulieren“ ab, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es müsse der nächste Nato-Gipfel in Den Haag abgewartet werden. „Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir massiv in die Bundeswehr und in unsere Verteidigungsfähigkeit investieren. Im Juni wird es dafür beim nächsten Nato-Gipfel eine gemeinsame Linie mit unseren Partnern geben. Daran werden wir uns orientieren.“
Oppositionspolitiker attackieren Außenminister
Auch in der Opposition sorgte die Aussage Wadephuls für Kritik. Die Grünen tadelten den „Prozent-Fetischismus“ in der Debatte. „Sicherheit im Bündnis entsteht nicht durch das Erfüllen starrer Quoten, sondern durch verlässliche Beiträge, die sich am tatsächlichen Bedarf orientieren“, sagte die außenpolitische Sprecherin Deborah Düring dem „Spiegel“. Wer Verteidigung ernst nehme, müsse Sicherheit „ganzheitlich denken“: „Dazu gehören Cybersicherheit, der Schutz kritischer Infrastruktur und auch sozialer Zusammenhalt.“
Es sei „ein verheerender Einstieg von Außenminister Wadephul, die bereits exorbitanten Militärausgaben noch weiter erhöhen zu wollen“, erklärte der Linken-Fraktionschef Sören Pellmann. Die Bundesregierung könne nicht „dringend gebrauchte Entlastungen für mittlere und kleine Einkommen mit dem Finanzierungsvorbehalt“ abmoderieren und gleichzeitig „fast unbegrenzte finanzielle Mittel für Aufrüstung“ bereitstellen.
Der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Peter Boehringer nannte fünf Prozent Verteidigungsausgaben „praktisch nicht finanzierbar“. Denn dies wären für Deutschland jährlich rund 220 Milliarden Euro, sagte er dem Sender Welt TV. Dass Wadephul Trumps Fünf-Prozent-Forderung „eins zu eins ohne jede Verhandlung“ übernehme, sei „komplett absurd“.
Wadephul erfährt nicht nur Ablehnung
Zuspruch erhielt der neue Außenminister kaum. Aus der Politik äußerte sich etwa Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP: „Die Anregungen von Johann Wadephul, die sich an den Vorschlägen des Nato-Generalsekretärs Mark Rutte orientieren, sind ohne Zweifel ambitioniert – aber vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit auch folgerichtig“, sagte sie der „Rheinischen Post“. „Jetzt ist das Verteidigungsministerium gefordert: Es muss zügig die nötigen gesetzlichen Grundlagen schaffen und dem Parlament zur Beratung vorlegen. Parallel dazu ist das Beschaffungsamt in Koblenz endlich so aufzustellen, dass alle verbliebenen administrativen Hürden konsequent beseitigt werden.“
CSU-Chef Markus Söder hielt es ähnlich. „3,5 Prozent – der harte Kern – wird mindestens das sein, was wir investieren müssen, möglicherweise sogar mit Ergänzung auf bis zu fünf Prozent des BIP hinausgehen. Das heißt, umgerechnet mindestens 150 Milliarden pro Jahr an zusätzlichen Entwicklungen“, sagte der bayerische Ministerpräsident. Auf Nachfrage ergänzte Söder, er gehe davon aus, dass die Nato bei 3,5 Prozent landen werde, da auch die USA bisher keine fünf Prozent investieren. „Das finde ich, ist machbar, das ist schaffbar, das müssen wir auch tun, und zwar ohne Tricks, sondern mit Klarheit.“
Nato-Generalsekretär Mark Rutte lobte den Kurs bei den Verteidigungsausgaben. Deutschland übernehme „hier wirklich die Führung“, sagte er zum Abschluss des Treffens der Nato-Außenminister in der Türkei zu Wadephuls Vorstoß. Angesichts der deutschen Wirtschaftskraft sei Rutte „wirklich sehr froh darüber“. Auch wenn es darum gehe, wie die Nato „alle unsere Bedrohungen und Herausforderungen bewältige“, übernehme Deutschland „eindeutig die Führung“, so der Nato-Chef weiter. Dabei betonte er, das bestehende Zwei-Prozent-Ziel sei bei Weitem nicht mehr ausreichend.
Die Nato wird voraussichtlich bei ihrem Gipfel Ende Juni in Den Haag über ihre Ausgabenziele bei Verteidigung entscheiden. Auch in der Militärallianz halten viele Länder fünf Prozent reine Verteidigungsausgaben für unrealistisch. Vergangene Woche war ein Vorschlag von Rutte bekannt geworden, wonach die Mitgliedsstaaten bis spätestens 2032 ihre Militärausgaben auf 3,5 Prozent des BIP sowie verteidigungsbezogene Ausgaben auf 1,5 Prozent des BIP steigern sollen.