Ann-Katrin Berger fürchtet Ärger. Mal wieder. Und schon wieder wird der Schimpfende Bundestrainer Christian Wück sein. „Weil er gesagt hat ‚Du springst immer in die gleiche Ecke'“, sagt die Heldin des DFB-Teams mit einem Augenzwinkern. Berger hatte Minuten zuvor ihr Team ins Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft gehievt und war als „Spielerin des Spiels“ ausgezeichnet worden.
In einem an Irrungen und Wirrungen nicht zu überbietenden Spiel gegen Frankreich hatte Berger im Elfmeterschießen mit ihrer „Sturheit“ schließlich den Durchblick und hielt den Versuch von Alice Sombath. Weil es nach diesem Spielverlauf den maximalen Thrill brauchte, war auch das Elfmeterschießen in die Verlängerung gegangen. Hieß: Berger hielt den Schuss der 21-jährigen Französin – und das war’s. 6:5 i.E. (1:1/1:1/1:1) für das DFB-Team.
Wieder war es links. Diesmal wurde Berger also für ihre Hartnäckigkeit belohnt. Weil sie ein „gutes Gefühl“ hatte. Dabei hätte sie auch mit Statistiken arbeiten können, Torwarttrainer Michael Fuchs hatte extra eine Trinkflasche mit einem Spickzettel zu den französischen Schützinnen vorbereitet. Aber? „Ich habe kein einziges Mal draufgeguckt, ich habe es vergessen. Mein Torwarttrainer hat sich so viel Mühe gegeben. Aber ich bin einfach ein Typ, der ein bisschen mehr im Moment lebt.“

Selbst auch noch verwandelt
Voll im Moment war sie auch, als sie zum fünften Elfmeter des DFB-Teams selbst antrat. Obwohl es beim Viertelfinale der Schwedinnen gegen England das Negativ-Beispiel gab, als Torhüterin Jennifer Falk zwar mehrere englische Versuche parierte, sie selbst ihr Team dann ins Halbfinale hätte schießen können, kläglich vergab – und sich dann doch noch die Engländerinnen durchsetzten. Nicht so Berger. Rechts hoch, platziert, satt – drin, vorbei an Pauline Peyraud-Magnin.
Als dann nach 120 Minuten mit einer frühen Roten Karte für Kathrin Hendrich, dem folgenden Strafstoß-Treffer von Grace Geyoro, nach zwei zurückgenommenen Toren der Französinnen, nach einem verschossenen Elfmeter von Sjoeke Nüsken und nach der Verlängerung der regulären Spielzeit dann endlich die Elfmeter-Parade alles entscheidet, entladen sich die Emotionen. Linda Dallmann springt auf den Rücken von Berger, lässt sich einige Meter herumtragen und schreit ihr ins Ohr: „Ich wusste, dass du es machst!“ Auch die ehemalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sagt als Expertin im Schweizer SRF: „Es war klar, dass Ann-Katrin Berger nochmal einen hält. Es hat dann ein bisschen gedauert.“
Kapitänin zwingt Berger zur Riesentat
Berger ist die große Heldin des Abends, hätte das aber lieber gar nicht erlebt: „Ich war nicht glücklich, dass wir ins Elfmeterschießen mussten, denn ich hätte es gern in 90 Minuten geklärt.“ Dabei umweht Berger der Ruf der Elfmeter-Killerin. Spätestens seit den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr ist bekannt, dass die Torhüterin von NJ/NY Gotham FC nicht so leicht zu bezwingen ist. Vor einem knappen Jahr hielt sie im Viertelfinale gegen Kanada – wie auch diesmal – zwei Elfmeter und verwandelt einen selbst. Im Spiel um Platz drei gegen Spanien pariert sie dann kurz vor Abpfiff ebenfalls einen Elfmeter und hält somit den 1:0-Sieg ihres Teams fest.
„Anne ist überragend. Wir können uns auf sie verlassen, beim Elfmeterschießen noch einmal mehr“, sagt Kapitänin Janina Minge. Diese hätte in der 103. Minute beinahe dafür gesorgt, dass es kein Elfmeterschießen gegeben hätte. Oder wahlweise, dass zumindest Berger nicht mehr hätte im Tor stehen können. Denn einen Ball, den sie eigentlich mit dem Kopf mittig im eigenen Strafraum klären will, gerät fast zum Eigentor. Unglaublich, dass Berger noch mit der linken Hand an den Ball kommt und diesen auf der Linie klärt. Wie sie selbst diese Szene erlebt hat?
„Ich habe keine Ahnung. Ich muss ehrlich sagen, ihr werdet es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber es ist aus Reaktion und Instinkt passiert. Ich weiß nicht, wie ich da noch hingekommen bin, ganz ehrlich.“ Eine brillante Tat in höchster Not, bei der sie sich aber an Schulter und Nacken wehtut – „Es hat sich gelohnt“ – und behandelt werden muss. Anschließend kann sie tatsächlich weiterspielen.
„Wie sie den gehalten hat, das gibt der Mannschaft nochmal den Push, über die Grenzen zu gehen. Das ist unheimlich wertvoll, so eine Torhüterin im Team zu haben“, so Wück. „Dass man eine Torhüterin im Team hat, die Ruhe ausstrahlt, wo auch die Mannschaft weiß, dass wenn der Gegner wirklich mal durchkommt, steht da noch jemand, der uns im Spiel halten kann und das hat sie mehrfach bewiesen.“
„Jetzt muss jede Mannschaft vor uns Angst haben“
Sein erster Ärger wegen Bergers riskantem Spiel gegen Dänemark mit Dribblings nah zur Gegnerin ist längst verklungen. Und nun profitieren er und das Team von der 34-Jährigen, die erst im vergangenen Jahr nach vielen Jahren des Wartens zur Nummer 1 im DFB-Team wurde. Neben ihrer eigenen Leistung motiviert sie auch noch ihre Mitspielerinnen vor jedem Elfmeter, mit jeder spricht sie vor dem Schuss. Was sie sagt? „Ihr könnt mich im Training schlagen, also könnt ihr das gegen die Torhüterin auch.“
Und wie sie können, bis auf die eigens fürs Elfmeterschießen eingewechselte Sara Däbritz treffen alle Deutschen. Das dürften auch die Spanierinnen gesehen haben. Gegen die Weltmeisterinnen geht es nun im Halbfinale weiter (Mittwoch, 21 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker). Vor einem knappen Jahr war Berger da die Heldin. So wie auch diesmal gegen Frankreich. Berger jedenfalls schickt eine Botschaft raus: „Jetzt muss jede Mannschaft vor uns Angst haben.“