Im Nachgang zur Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz haben in dieser Woche alle Ministerinnen und Minister ihre Pläne für die kommenden vier Jahre vorgestellt. Am Freitagmorgen war der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt dran. Mit seinem nicht mal 15-minütigen Auftritt brachte er den Bundestag gleich auf Betriebstemperatur – so sehr, dass sich sowohl Grüne und Linke als auch die AfD aufregten.
Der CSU-Politiker beginnt seine Rede mit einem Dank an die Sicherheitskräfte in Deutschland. Was am Donnerstag passiert sei, als ein Polizist bei einer propalästinensischen Demonstration schwer verletzt wurde, sei kein Einzelfall, sondern passiere immer wieder. Der Polizei verspricht er „maximale Unterstützung und Rückendeckung“, das werde die Koalition auch beim neuen Polizeigesetz deutlich machen.
Den „Werkzeugkasten von Polizei und Nachrichtendiensten“ will Dobrindt „deutlich erweitern“. Künftig sollen IP-Adressen gespeichert werden dürfen, der Datenaustausch zwischen den Diensten soll erleichtert werden und sie sollen KI einsetzen, um große Datenmengen effizient auszuwerten. Zu oft seien die Sicherheitsbehörden „unter Generalverdacht gestellt worden“, deshalb müsse Schluss damit sein, „Kennzeichnungspflichten, Kontrollquittungen und Beschwerdestellen“ einzuführen, so Dobrindt.
„Politikwechsel an der Grenze“
Die Menschen würden von der Bundesregierung einen „Politikwechsel“ erwarten, und dieser Politikwechsel habe an den Grenzen begonnen. Deutschland bleibe „ein weltoffenes Land, wir sind offen für legale Migration in unseren Arbeitsmarkt und unsere Gesellschaft“. Bei der „illegalen Migration“ habe Deutschland aber „eine Belastungsgrenze, und deswegen müssen wir handeln“.
An die Adresse der SPD sagt Dobrindt: „Ich weiß, dass das für Sie ein weiterer Weg ist als für uns.“ Gerade deshalb biete er der SPD eine enge Zusammenarbeit an.
Auch für AfD und Grüne hat der Minister eine Botschaft. Er habe in der Rede von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge nach Merz‘ Regierungserklärung am Mittwoch „ausschließlich Vorwürfe gehört“, sagt er. „Aber es ist doch gerade Ihre Weigerung in den letzten vier Jahren, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die die Polarisierung in unserer Gesellschaft geradezu verdoppelt hat.“ Das empört die Grünen massiv. Dobrindt fährt fort, das Ergebnis dieser Politik, „das sitzt heute hier im Plenarsaal“. Das wiederum empört die AfD. Sie wollen offenkundig kein Ergebnis grüner Politik sein.
AfD und Linke sehen „Chaos“
Zuvor hatte Dobrindt gesagt, eine Aufgabe dieser Bundesregierung sei es auch, die Polarisierung zurückzudrängen. Im Bundestag gelingt ihm das nicht so gut. Von der Unionsfraktion erhält er mehrfach starken Beifall – von der SPD weniger, mitunter gar nicht, oft nur von einigen Abgeordneten. Grüne und Linke stoßen sich vor allem an einer Passage seiner Rede: „Wir werden einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und schwere Straftäter einführen, sodass es nur noch zwei Möglichkeiten gibt: Haft oder Heimflug.“
Der AfD dagegen geht das alles nicht weit genug. Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio wirft der Bundesregierung „Chaos“ vor. Sie wolle die illegale Migration nicht beenden, sondern nur zurückdrängen und betreibe einen „Etikettenschwindel nach dem anderen“. Als Beispiel zitiert Curio aus Dobrindts Brief an die Bundespolizei, in der die angewiesen wird, Zurückweisungen vorzunehmen. Dort steht, dass Schutzsuchenden „die Einreise verweigert werden kann“ – kann, nicht muss. Für Curio ein Beweis, dass das alles nicht ernst gemeint ist.
Das jedoch ist ein Irrtum, wie der Migrationsrechtler Daniel Thym von der Universität Konstanz bei der „Legal Tribune Online“ erläutert hat. Das Europarecht verpflichtet Deutschland demnach, sicherzustellen, dass die Nachbarländer die Zurückgewiesenen auch übernehmen. Auch für die Bundespolizei macht die Formulierung „kann“ keinen Unterschied, hatte der Chef der Polizeigewerkschaft GdP, Andreas Roßkopf, am Donnerstag in einem Gespräch mit Journalisten erläutert. Denn Dobrindt beziehe sich auf Paragraf 18 Absatz 2 des Asylgesetzes – und das sei keine Kann-Vorschrift, sondern eine Muss-Vorschrift.
„Herrschaft des Unrechts“?
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz wirft Dobrindt vor, mit den verschärften Grenzkontrollen die Nachbarländer zu „vergrätzen“, den Grenzregionen sowie der deutschen Wirtschaft zu schaden und die Bundespolizei zu überfordern. „In spätestens drei Wochen wird die massive Überlastung Ihre Maßnahmen faktisch beenden“, sagt er. Kanzleramtsminister Thorsten Frei hatte am Mittwoch im Bundestag eingeräumt, „in alle Ewigkeit“ werde man die Kontrollen im aktuellen Ausmaß nicht fortsetzen können. Roßkopf sagte, dies sei nur „einige Wochen“ möglich, maximal „ganz wenige Monate“.
Auch die Linken-Innenpolitikerin Clara Bünger sagt, die Regierung habe in ihrer ersten Woche nur „Chaos“ geliefert. Am Donnerstag habe es geheißen, Merz habe eine Notlage nach Artikel 72 ausgerufen, „noch am selben Tag wurde das dementiert“. Die Zurückweisung von Asylsuchenden sei „ein Einstieg in eine Herrschaft des Unrechts“. Dobrindt hält sie vor, Positionen der AfD zu übernehmen: „Den Faschismus hält man nicht auf, indem man seine Forderungen übernimmt.“
Auf eine Zwischenfrage des Grünen-Abgeordneten Marcel Emmerich weist der CDU-Innenexperte Günter Krings die Annahme zurück, er habe heute eine andere Rechtsauffassung als in seiner Zeit als Staatssekretär im Bundesinnenministerium in den Jahren von 2013 bis 2021, als es keine Zurückweisungen an der Grenze gab. Krings betont, schon damals habe er gesagt, „dass wir die Zurückweisungen aussprechen können, aber nicht müssen“. Auch von der AfD werde behauptet, dies sei „eine Herrschaft des Unrechts“ gewesen. „Das weise ich zurück. Wir konnten diese Zurückweisungen durchführen. Wir mussten sie aber nicht durchführen“, sagt Krings unter Verweis auf das Asylgesetz. „Bei dieser Rechtsauffassung bleibe ich auch.“
Wie lange die Grenzkontrollen im aktuellen Ausmaß bestehen bleiben sollen, wird nicht wirklich klar. Im Koalitionsvertrag heißt es, sie sollen fortgesetzt werden „bis zu einem funktionierenden Außengrenzenschutz“ durch die EU beziehungsweise die Staaten am Rand der EU und bis die Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in Kraft treten. Dobrindt will GEAS „nachschärfen“ und früher zur Anwendung kommen lassen. Stand jetzt soll das Regelsystem erst ab Sommer 2026 gelten.