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Im zweiten Wahlgang: Doch noch Kanzler – Merz zittert sich zum Erfolg

Wenn es jemals einen Applaus gab, aus dem nichts als Erleichterung, Erleichterung und nochmals Erleichterung sprach, dann war es der Beifall, den die Abgeordneten von CDU und CSU sowie der SPD am Nachmittag Friedrich Merz im Bundestag spenden. Um 16.15 Uhr sagt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, „der Abgeordnete Friedrich Merz“ habe die erforderliche Mehrheit von 316 Stimmen erreicht. Sie muss in den Applaus hinein sprechen und das Plenum ermahnen, ihr noch zuzuhören.

325 Stimmen waren es am Ende, also immer noch drei weniger als Union und SPD Abgeordnete haben. Aber das dürfte Merz im ersten Moment ziemlich egal sein. Friedrich Merz ist zum zehnten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Damit geht ein beispielloser Wahlkrimi zu Ende – dieser Tag geht in die Geschichte ein, so viel ist sicher.

Um 15.08 Uhr war der CDU-Chef an den Ort seiner größten Niederlage zurückgekehrt. Umgeben von Philipp Amthor, Paul Ziemiak und Carsten Linnemann, die ihn fast schützend umgeben, geht der Kanzlerkandidat der Union zu seinem Platz in der ersten Reihe des Bundestagsplenums. Sechs Stunden zuvor war er im ersten Wahlgang gescheitert. Unfassbare 18 Stimmen Distanz hatte er zur Gesamtzahl der Abgeordneten von Union und SPD, sechs zur erforderlichen Mehrheit.

Stundenlanges Grübeln und Verhandeln

Nach seinem Scheitern am Vormittag war Merz hinter dicken Bürotüren verschwunden, huschte mal über einen Gang und blieb dann weitgehend im Verborgenen. Häufiger sah man den künftigen Kanzleramtsminister Thorsten Frei durch einen Gang eilen, auch SPD-Chef Lars Klingbeil marschierte gelegentlich irgendwo entlang. Doch über Stunden blieb unklar, wie es weitergehen würde. Stattdessen wurde gegrübelt und verhandelt.

Erstmal mussten offenbar auch die Parlamentsprofis der Parteien und der Bundestagsverwaltung herausfinden, wie es weitergehen konnte. Denn so einen Fall hatte es noch nie gegeben. Bisher wurden die Bundeskanzler immer im ersten Wahlgang gewählt. Es passt in diese Zeiten, dass auch das schiefging. Es passt auch zu Merz‘ glücklosem Agieren der vergangenen Monate. Erst heißt es, an diesem Mittwoch werde es auf keinen Fall noch eine Abstimmung geben. Dann geht es doch. Sowohl die Geschäftsordnung erlaubt es als auch das Parlament.

„Frau Präsidentin, ich danke für das Vertrauen und nehme die Wahl auch an.“ Als Merz diesen Satz endlich sagen darf, erhebt sich besagter Applaus und Jubel. Merz selbst setzt sich wieder, bleibt ganz still. Nur Altkanzler Olaf Scholz eilt an sein Pult und gratuliert seinem Nachfolger. Kurz darauf bildet sich eine lange Schlange der Gratulanten, darunter auch AfD-Politiker.

Die Frage bleibt: Wer war’s

Merz ist nach diesem Tag angeschlagen. Ihm bleibt der Makel, gleich zu Beginn nicht alle in den eigenen Reihen überzeugt zu haben. Wer ihm die Stimme verweigert hat, ist auch am Nachmittag noch unbekannt. In der SPD hatten einige öffentlich gesagt, Merz nicht wählen zu wollen, besonders nach den gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD.

Aber auch in der Union waren einige Abgeordnete unzufrieden über den Koalitionsvertrag – insbesondere die Jüngeren. Der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, hatte noch vergangenen Montag auf dem Bundesausschuss der CDU, einem kleinen Parteitag, Kritik an Merz geübt. Einige Wochen zuvor hatte er in einem Zeitungsinterview gar seine Zustimmung infrage gestellt. Die Junge Union fordert beispielsweise eine Rentenreform und wünscht sich ein höheres Renteneintrittsalter. Das hatte Merz im Wahlkampf aber ausgeschlossen.

Sowohl in der SPD als auch in der Union könnte aber auch die Wahl der Minister für Unmut gesorgt haben. Merz missachtete den parteiintern wichtigen Regionalproporz, nominierte in Karin Prien und Johann Wadephul zwei Minister aus Schleswig-Holstein, aber niemanden aus Niedersachsen. SPD-Chef Klingbeil servierte abgesehen von Boris Pistorius alle bisherigen Ampel-Minister ab und ersetzte sie mit Vertrauten. Dabei könnten sich einige übergangen gefühlt haben. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass noch herauskommt, was am Ende ausschlaggebend war.

Ohne die Linken hätte es am Dienstag nicht geklappt

Eine Neben-Demütigung war es für den CDU-Chef, dass er die Hilfe der Linken brauchte, um einen zweiten Wahlgang zu bekommen. Um die Geschäftsordnung entsprechend zu ändern, mussten zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. In einer kurzen Debatte hauten ihm Linken- und Grünen-Politiker seine Niederlage noch einmal kräftig um die Ohren und verrissen den Koalitionsvertrag.

Bernd Baumann von der AfD verhöhnte den neuen Bundeskanzler. „Herr Merz, Sie sind gescheitert. Das ist eine historische Niederlage, wie es sie in diesem Bundestag noch nie gegeben hat.“ Zugleich bot er, wie er es immer tut, Merz eine Zusammenarbeit an. Die hatte der CDU-Chef immer ausgeschlossen – allerdings ließ er im Januar seine Fraktion dann doch mit den Rechtsextremen stimmen, was viele bei SPD und Grünen erzürnte. Auch das könnte eine Rolle bei den Abweichlern gespielt haben.

Merz wird nun versuchen, den ersten Wahlgang als Betriebsunfall darzustellen. Helfen wird ihm dieses Drama aber kaum. Ihm bleibt nun nur die Flucht nach vorn, um das umzusetzen, was er immer versprochen hat: gutes Regieren.

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