Dieser Montag brachte CDU-Chef Friedrich Merz einen Schritt näher ans Kanzleramt. Die Delegierten auf dem Bundesausschuss, einem kleinen Parteitag, haben den Koalitionsvertrag mit der SPD goutiert und ihn geradezu durchgewunken. In der etwas unübersichtlichen Abstimmung per Handkarte votierten fast alle oder gar alle Delegierten für das Regierungsbündnis. Begeistert wirkten die rund 150 Delegierten allerdings auch nicht. So war seitens der Jungen Union und des Arbeitnehmerflügels CDA auch Kritik zu hören. Ein Sturm der Entrüstung blieb aus, ein bisschen Gegenwind gab es aber schon.
Junge-Union-Chef Johannes Winkel warnte davor, die Kosten für die Rente ausufern zu lassen. Auch Monica Wüllner vom Sozialflügel der CDU, der Christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), fand eher mahnende Worte. CDA-Chef Dennis Radtke hatte zuvor allerdings in der „Süddeutschen Zeitung“ deftigere Worte gewählt. Dort beklagt er, dass niemand vom Sozialflügel ein Ministeramt bekommen hatte.
Auch Selbstkritik war zu hören: Generalsekretär Carsten Linnemann sagte, das Ergebnis der Bundestagswahl von 28,5 Prozent sei schlecht gewesen, man habe sich mehr gewünscht. Persönliche Konsequenzen zog er nicht daraus. Im Gegenteil bekräftigte er, Generalsekretär bleiben zu wollen. Damit ging er auf die Stimmung an der CDU-Basis ein. Nach der Wahl hatte es großen Unmut gegeben. Insbesondere die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigung und das Infrastrukturpaket über 500 Milliarden Euro hatte viele empört – insbesondere, weil Merz im Wahlkampf mehr oder weniger das Gegenteil versprochen hatte.
Winkel fordert andere Rentenkommission
Die deutlichste Kritik war von JU-Chef Winkel zu hören. Sein Gefühl sei, das sage er „ehrlich und offen“, dass der Koalitionsvertrag „niemandem so richtig wehtun will“. Genau das sei doch die „politische Attitüde der 2010er Jahre“, der letzten Großen Koalition. Also der Jahre unter Angela Merkel, die Winkel aber nicht erwähnte. Merz macht es wie Merkel? Das war eine Spitze, schließlich war Merz angetreten, die CDU nach den Merkel-Jahren auf einen anderen, konservativeren Kurs zu führen.
Einer Umfrage zufolge, so sagte Winkel, glaubten 60 Prozent der Menschen, die junge Generation werde wegen der Rentenpolitik und der Neuverschuldung unfair behandelt. Man müsse sich die Frage stellen, ob das generationengerecht sei. Er forderte, die geplante Rentenkommission müsse anders arbeiten als 2018, als es das letzte Mal eine gegeben habe. Damals habe es „ewige Diskussionen“ gegeben, am Ende einen „großen Bericht mit kleiner Substanz und null Ergebnis“. Damals habe niemand unter 40 mitverhandelt. Das müsse jetzt anders werden, forderte Winkel.
Diese Regierung habe „die letzte Chance“, bevor der demografische Wandel in den 30er Jahren „richtig reinhaut“. Dann drohten die Belastungen überwältigend zu werden. Er forderte, dem Koalitionsvertrag ein Kapitel mit dem Titel „Fairness und Perspektiven für die junge Generation“ hinzuzufügen. In einem Interview hatte Winkel zuvor sogar infrage gestellt, ob er dem Koalitionsvertrag zustimmen würde. Auch andere junge Abgeordnete der CDU hatten sich kritisch geäußert.
Merz schlug schon vor Winkels Rede selbstkritische Töne an. „Ja, die Kritik stimmt“, sagte er in seiner Rede. Bei Rente, Gesundheit und Pflege sei der Koalitionsvertrag „ziemlich unklar und vage“ geblieben. Es brauche eine „neue Balance zwischen den Älteren, die sich zu Recht auf das System verlassen, und den Jüngeren, die zu Recht fragten, wie sie das alles bezahlen sollen.“
Kritische Zwischentöne bei der CDA
Auch die CDA-Vertreterin Wüllner ließ keinen Zweifel an ihrer Zustimmung zum Vertrag. Sie sagte, dem CDA-Vorsitzenden Radtke habe es zugestanden, „Wasser in den Wein zu schütten“. Der hatte der „Süddeutschen“ gesagt, er finde es „befremdlich und falsch, dass kein Vertreter der christlich-sozialen Wurzel unserer Partei Teil des Kabinetts ist“. Das habe es von Adenauer bis Merkel nie gegeben. Die „fehlende Breite bei Inhalten und Köpfen“ habe „letztlich mit zu einem Wahlergebnis geführt, das weit unter unseren Erwartungen und Möglichkeiten war“, so Radtke.
„Um Volkspartei zu bleiben, reicht es nicht aus, bloß den Anspruch zu formulieren – er muss auch mit Leben gefüllt werden“, sagte Radtke weiter. „Wer von Wahlergebnissen wie unter Helmut Kohl träumt, muss auch die Breite zulassen, die unter Helmut Kohl das große Plus der Union war.“
Radtke war gar nicht nach Berlin gekommen, sondern zu einem Kongress der Europäischen Volkspartei nach Valencia gereist. Neben Wüllner vertraten ihn auch zwei weitere Redner der CDA. Elke Hannack und Ulrich Bäumler forderten einen höheren Mindestlohn, von dem man leben könne, und klangen dabei eher wie SPD-Mitglieder. Auch sie warben letztlich um Zustimmung zum Koalitionsvertrag.
Wüllner betonte aber die christlich-sozialen Wurzeln der Partei. Sie forderte außerdem eine klare Abgrenzung von der AfD. Der künftige Fraktionschef Jens Spahn hatte eine entsprechende Debatte losgetreten. Ihm wird vorgeworfen, sich für eine Normalisierung des Verhältnisses zu der Partei auszusprechen. Er bestreitet das allerdings.
So wurde deutlich, dass nicht alle in der CDU im Gleichschritt hinter Merz hermarschieren. Doch Zweifel an der Zustimmung zum Koalitionsvertrag kamen nie auf. Das überlässt die CDU der SPD, die alle knapp 360.000 Mitglieder entscheiden lässt. Deren Entscheidung ist weitaus weniger klar als die der knapp 150 CDU-Delegierten.