16,4 Prozent. Dieses desaströse Wahlergebnis der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl muss Folgen haben, auch personelle. Das machte SPD-Chef Lars Klingbeil gleich am Wahlabend deutlich: „Ich sage hier mit absoluter Klarheit: Der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden.“ Dass er damit auch sich selbst meinte, wurde wenig später deutlich, als der 47-Jährige nach dem Fraktionsvorsitz griff – zum Nachteil des 18 Jahre älteren Amtsinhabers Rolf Mützenich.
Dass er es tatsächlich ernst meint mit dem Generationswechsel, hat Klingbeils erste große Personalentscheidung bereits gezeigt. Im März wählte der Bundestag auf seinen Vorschlag hin die 38-jährige Josephine Ortleb zu seiner Vizepräsidentin. Auch wenn es nun darum geht, die sieben SPD-Ministerposten zu besetzen, könnte Klingbeil als Zeichen der Erneuerung auf einige frische Gesichter setzen. Diese acht Namen könnten für einen personellen Neuanfangin Regierung, Partei und Fraktion stehen.
Verena Hubertz (37)
Die Rheinland-Pfälzerin könnte frischen Wind ins Kabinett bringen. Verena Hubertz ist Unternehmerin – eine echte Seltenheit in der SPD. Sie hat BWL studiert und vor ihrer Zeit als Politikerin ein erfolgreiches Digital-Startup aufgebaut. Seit 2021 ist sie Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ihre Schwerpunktthemen sind Wirtschaft und Digitales. Diese beiden Ministerien besetzt in der neuen Bundesregierung allerdings die CDU.
Hubertz wird stattdessen als mögliche neue Bau- oder alternativ als Umweltministerin gehandelt. Sollte sie keinen Platz am Kabinettstisch erhalten, ist sie auch als Erste Parlamentarische Geschäftsführerin und damit Managerin der SPD-Fraktion im Gespräch.
Armand Zorn (36)
Ähnlich wie bei Hubertz sind auch seine Herzensthemen Wirtschaft und digitale Transformation. In den Koalitionsverhandlungen mit der Union leitete Zorn für die SPD die Arbeitsgruppe Digitales. Die Personalauswahl für die Leitung der 17 Arbeitsgruppen kann durchaus darauf hindeuten, wem die SPD-Spitzehöhere Aufgaben zutraut.
Mit seiner Biografie verkörpert Zorn das Aufstiegsversprechen der Sozialdemokratie: Geboren in Kamerun, kam er im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. In Halle an der Saale machte Zorn sieben Jahre später Abitur, obwohl er anfangs kein Wort Deutsch sprach. Inzwischenhat er zwei Master-Abschlüsse – einen in Politik- und Verwaltungswissenschaft, einen in Wirtschaftsrecht, dazu noch ein Diplom in International Economics.
Bis zu seinem Einzug in den Bundestag 2021 war er als Unternehmensberater tätig. Unter anderem war er Projektleiter für wirtschaftliche Nachhaltigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Er könnte Außenseiterchancen auf das Entwicklungsministerium haben.
Elisabeth Kaiser (38)
Die Verwaltungswissenschaftlerin aus Gera in Thüringen gehört zu den ostdeutschen Kandidatinnen für die SPD-Regierungsmannschaft. Seit 2023 ist Kaiser bereits parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. In der neuen Regierung könnte sie Staatsministerin und Ostbeauftragte werden, denn auch dieser Posten wird auf Vorschlag der SPD besetzt.
Staatsminister stehen in der Kabinettshierarchie direkt unterhalb eines Ministerpostens. Mit einem kleinen Personalstab ausgestattet, können Staatsminister eigene Akzente setzen. Der bisherige Ostbeauftragte Carsten Schneider, ebenfalls Thüringer, hat bereits angekündigt, dass er das Amt nicht erneut anstrebt. Damit könnte der Weg frei sein für Kaiser.
Sonja Eichwede (37)
Ebenfalls Mitglied eines ostdeutschen Landesverbandes ist Sonja Eichwede, gleichwohl sie in Bremen geboren wurde und dort aufgewachsen ist. Schon seit Wochen kursieren angebliche Kabinettslisten, auf denen ihr Name steht. Sie könnte demnach neue Justizministerin werden. Als Juristin bringt Eichwede dafür zweifellos das nötige Rüstzeug mit. Sie war Richterin am Landgericht Neuruppin in Brandenburg, bevor sie 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages wurde und ist aktuell rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
Durchaus überraschend machte die Parteispitze sie in den Koalitionsverhandlungen zur Leiterin des SPD-Verhandlerteams für Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung. Die amtierende Innenministerin Nancy Faeser, die als Juristin ebenfalls auf das Justizressort schielen dürfte, wurde hingegen nur stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe.
Dennis Rohde (38)
Der Niedersachse genießt großes Ansehen in der SPD-Bundestagsfraktion. Als haushaltspolitischer Sprecher kennt er sich aus mit den Staatsfinanzen. Im letzten großen Ampel-Streit um fehlende Milliarden im Bundeshaushalt war er für Olaf Scholz der Mann, der mit seinem umfangreichen Detailwissen die Haushaltspläne des FDP-Finanzministers Christian Lindner durchblickte.
Ob er nun Chef-Haushälter der SPD-Fraktion bleibt, vielleicht zum Vize-Fraktionschef aufsteigt oder als parlamentarischer Staatssekretär, vermutlich mit Lars Klingbeil, ins Bundesfinanzministerium wechselt – für Rohde gibt es viele Optionen.
Reem Alabali-Radovan (34)
Die SPD-Politikerin aus Schwerin hat in der Partei einen rasanten Aufstieg hingelegt. Bereits seit 2021 ist Alabali-Radovan Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Dasselbe Amt hatte sie zuvor auch schon in Mecklenburg-Vorpommern inne, dasselbe Amt könnte sie auch in der neuen Bundesregierung weiter ausüben.
Denn neben der Position des Ostbeauftragten, der an das Finanzministerium angedockt wird, hat die SPD auch einen der insgesamt vier Staatsministerposten im Kanzleramt für sich beanspruchen können, und zwar den, den Alabali-Radovan aktuell innehat. Da die 34-Jährige in ihrer Freizeit gerne boxt, wird sie wohl auch wissen, wie sie ihren Platz dort verteidigen kann.
Tim Klüssendorf (33) und Wiebke Esdar (41)
Gemeinsam mit Dagmar Schmidt sind sie Sprecher der Parlamentarischen Linken – dem wichtigsten Flügel der Bundestagsfraktion neben dem konservativeren Seeheimer Kreis. Klüssendorf hat bei der Bundestagswahl im Februar sein Direktmandat im Wahlkreis Lübeck verteidigt. Er ist der einzige SPD-Kandidat aus Schleswig-Holstein, dem das bei dieser Wahl gelungen ist. Klingbeil erhob es zum maßgeblichen Kriterium, diejenigen nach vorne zu bringen, die für die SPD noch Wahlsiege holen.
Auch Wiebke Esdar schaffte trotz des historisch schlechten SPD-Wahlergebnisses den Wiedereinzug in den Bundestag als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Bielefeld – Gütersloh II. Esdar ist zudem Co-Vorsitzende der Gruppe der NRW-Abgeordneten.
Als es vor der Bundestagswahl um die Frage ging, ob die SPD lieber mit Verteidigungsminister Boris Pistorius statt mit Scholz ins Rennen um das Kanzleramt gehen sollte, ergriff Esdar gemeinsam mit ihrem Fraktionskollegen Dirk Wiese Partei für Pistorius. In einem offenen Brief schrieben sie, aus der Partei „hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius“. Selbst wenn Esdar und Klüssendorf nicht Teil der Bundesregierung werden, auch aus der Fraktion heraus können sie weiter Einfluss nehmen.
Es geht um 2029
Acht Namen, sieben davon unter 40 Jahre alt. Sie könnten die bisherige SPD-Ministerriege um Hubertus Heil, Nancy Faeser, Klara Geywitz, Svenja Schulze und Co. ordentlich aufmischen. Womöglich muss der eine oder andere von den Altgedienten seinen Posten räumen, um Platz zu machen für ein neues Gesicht.
Nach dem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag will die SPD-Spitze bekannt geben, wer welchen Kabinettsposten bekommt. Neben den Minister- und Staatsministerposten geht es dann auch um die Fraktionsführung. Ende Juni folgt auf dem Bundesparteitag die Neubesetzung des SPD-Vorstands. Das Team, mit dem Klingbeil 2029 das Kanzleramt zurückerobern will, formiert sich jetzt.