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Wieso eine Brasilianerin das deutsche EM-Halbfinale pfeift

Wenn das DFB-Team gegen Spanien um den Einzug ins Finale der Fußball-Europameisterschaft kämpft, stehen auch drei Brasilianerinnen auf dem Platz. Schiedsrichterin Edina Alves Batista und ihre Assistentinnen Neuza Ines Back und Fabrini Bevilacqua.

Die 45-Jährige ist eine von 13 Schiedsrichterinnen bei diesem Turnier. Keine Deutsche hat es in die Auswahl geschafft, wie schon bei der WM 2023. Diesmal sind Christian Dingert und Katrin Rafalski als Video-Schiedsrichter dabei. Wie aber kommt es, dass eine Schiedsrichterin nicht aus Europa kommt, aber bei einer EM mitwirkt? Die UEFA und der südamerikanische Verband CONMEBOL pflegen eine „kontinuierliche Zusammenarbeit“ – und so können Batista, Back und Bevilacqua ihr Können beweisen.

Eine weite Reise für die drei – aber bei Weitem nicht die aufwändigste, die Batista hinter sich hat. Aufgewachsen ist sie in Goioere, rund 800 Kilometer westlich von Sao Paulo. Ein Ort, näher dran an Paraguay als an der nächsten Großstadt Brasiliens. Die junge Edina spielte Futsal, träumte davon, Fußballerin zu werden. „Aber es ist eine kleine Grafschaft mitten im Nirgendwo – in den 90er-Jahren war es nicht möglich, Fußballerin zu werden“, sagte sie für einen Bericht der FIFA.

1999 kam sie aufgrund des Vaters eines Freundes zu der Chance, sich als Schiedsrichterin zu versuchen. „Ich verliebte mich sofort in das Adrenalin, das mit dem Leiten eines Fußballspiels verbunden ist. In diesem Moment wusste ich, dass die Schiedsrichterei mein Leben ist.“

Schuften in einer Gärtnerei

Und dafür tat Batista alles, nahm immense Quälereien in Kauf. Denn die Ausbildung zur Schiedsrichterin kostet Geld. „Abends ging ich noch zur Schule, um Sportlehrerin zu werden, und nachmittags trainierte ich (als Schiedsrichterin, Anm.d.Red.), also brauchte ich einen Job, den ich früh beginnen konnte“, erzählte sie. Und so klingelte ihr Wecker jeden Morgen um 5 Uhr, dann füllte sie Stunde um Stunde Erde einer Saatgärtnerei in Säcke. Unter der Sonne Brasiliens, auf den Knien hockend, fast zwei Jahre lang.

Doch ihr Traum drohte trotzdem zu platzen. Zur Kursgebühr kamen auch noch Reisekosten zu den Unterrichtseinheiten. „Manchmal mussten wir 550 Kilometer weit fahren, nur für eine Unterrichtsstunde. Das war jedes Wochenende so.“ Sie rackerte sich ab, sie durfte erste Amateurspiele leiten – und dann rief sie 2007 der Leiter des Schiedsrichterwesens an. Sie war für die CBF-Prüfung zur körperlichen Fitness ausgewählt worden. Der Dämpfer folgte schnell: Sie war nicht als Hauptschiedsrichterin ausgewählt, sondern nur als Assistentin. Jeder Bundesstaat darf nur einen Hauptschiedsrichter schicken, es war ein Mann ausgewählt worden. Batista kämpfte weiter.

„Ich wäre fast gestorben“

Im Jahr darauf kam alles noch schlimmer, Batista kämpfte nicht mehr nur um ihren Traum, sondern um ihr Leben. Ein Autounfall. „Ich wäre fast gestorben“, sagte Edina. „Ich lag vier Tage lang auf der Intensivstation. Der Fußball hat mich inspiriert, es durchzustehen. Alles, woran ich denken konnte, war, ein Spiel zu leiten.“ Obwohl die Ärzte eine lange Ausfallzeit oder gar das Ende prognostizierten, kehrte sie nach drei Monaten auf den Platz zurück.

Die Jahre vergingen und Batista träumte weiter vom Spiel mit der Pfeife im Mund. Erst ein Zufall brachte wieder Bewegung. 2014 traf sie Sergio Correa, den damaligen Präsidenten des CBF-Schiedsrichterausschusses, mit ihm sprach sie über ihren Traum. „Er sagte mir, dass ich als angehender FIFA-Schiedsrichterassistent noch einmal ganz von vorne anfangen müsste, mit dem Studium und der Ausbildung zum Hauptschiedsrichter.

Ich glaube, er dachte, das würde mich abschrecken, aber ich habe nicht lange überlegt und zugesagt.“ Allerdings war sie damals schon 34 Jahre alt und der Leiter des Amtes in ihrem Bundesstaat wollte ihr die nötigen Dokumente für den Wechsel von der Assistentin zur Hauptschiedsrichterin aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters zunächst nicht ausstellen. Überredungskünste halfen – und fünf Jahre später war Batista die erste Frau seit 14 Jahren, die ein Spitzenspiel der Männer in Brasilien leitete.

Ab da ging es steil bergauf. Teilnahme an der WM der Frauen 2019, sie durfte das Halbfinale zwischen den USA und England leiten. „Das war mehr als ein Traum.“ 2023 war sie in Australien und Neuseeland wieder bei der WM dabei. Zwischendurch schrieb sie Geschichte, als erste Frau durfte sie bei der Klub-WM der Männer 2021 mitwirken. Sie leitete unter anderem das Halbfinale des FC Bayern, das der Bundesligist mit 2:0 gegen Al Ahly SC für sich entscheiden konnte und so den Weg zum Titel ebnete.

Der Scheich und der nicht erfolgte Gruß

In Katar gab es aber auch Aufruhr wegen ihr. Denn Scheich Joaan bin Hamad bin Khalifa al-Thani verabschiedete nach der Siegerehrung die meisten Spieler, Trainer und Schiedsrichter mit einem coronakonformen Faustgruß. Batista und Back bedachte er nicht. Dem Scheich wurde frauenfeindliches Verhalten vorgeworfen, die FIFA und das Organisationskomitee wiesen dies zurück.

Nun ist Batista bei der EM im Einsatz. In der Vorrunde leitete sie die Partien zwischen Dänemark und Schweden sowie zwischen England und den Niederlanden. Das Halbfinale wird ihr drittes Spiel sein. Sowohl das DFB-Team als auch die Spanierinnen kennt Batista bereits. Bei der WM 2023 leitete sie ebenfalls das Halbfinale der Spanierinnen, die sich 2:1 gegen Schweden durchsetzten und schließlich Weltmeister wurden.

Auch die Deutschen haben gute Erinnerungen an ihr Spiel unter Batistas Leitung. Bei den Olympischen Spielen pfiff sie das Viertelfinale des DFB-Teams gegen Kanada. Es ging ins Elfmeterschießen, das Deutschland mit 4:2 gewann. Bundestrainer Christian Wück und Co. hätten sicher nichts dagegen, wenn es auch diesmal so ausgeht.

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