In mehreren Städten Mecklenburg‑Vorpommerns, darunter Ludwigslust und Orte auf der Insel Rügen, tauchen seit Wochen vermehrt Deutschlandflaggen an Zäunen, Laternen und Privathäusern auf. Was zunächst wie ein Ausdruck alltäglichen Patriotismus wirkt, ist nach Einschätzung von Expertinnen und Experten Teil einer koordinierten Aktion aus dem rechtsextremen Spektrum. Unter dem Hashtag #HissDieFlagge verbreitet sich die Kampagne seit Oktober 2025 rasant auf Plattformen wie TikTok, Instagram und X.
Ursprung in Nordrhein‑Westfalen
Ihren Ausgang nahm die Aktion im nordrhein‑westfälischen Hilchenbach. Dort waren im Herbst systematisch Flaggen im öffentlichen Raum angebracht worden, was bundesweit Aufmerksamkeit erregte. Zusätzliche Dynamik erhielt die Debatte, als die AfD‑Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel auf X behauptete, das Hissen der Flagge habe Ermittlungen des Staatsschutzes ausgelöst. Diese Darstellung wurde in rechten Online‑Communities aufgegriffen und als vermeintlicher Beleg für eine Unterdrückung nationaler Symbole verbreitet.
Einordnung durch Extremismusforschung
Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) ordnet die Aktion dem „rechtsextremen Vorfeld“ zu. Nach seiner Analyse zielt die Kampagne darauf ab, den öffentlichen Raum symbolisch zu besetzen und eine Normalität rechter Präsenz zu suggerieren. Die massenhafte Sichtbarkeit solle politische Stärke vortäuschen und gesellschaftliche Debatten verschieben.
Politische Folgen in Mecklenburg‑Vorpommern
In Mecklenburg‑Vorpommern erreichte die Auseinandersetzung im Dezember 2025 einen Höhepunkt. Ein Video der damaligen Landesgleichstellungsbeauftragten Wenke Brüdgam (Die Linke), das sie beim Entfernen von Flaggen an leerstehenden Gebäuden auf Rügen zeigt, verbreitete sich bundesweit. Rechte Akteure nutzten die Aufnahmen, um Brüdgam öffentlich anzugreifen. Der politische Druck, unter anderem durch AfD und CDU, führte schließlich dazu, dass Brüdgam am 5. Dezember von ihrem Amt zurücktrat. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen des Verdachts der Sachbeschädigung und des Diebstahls ein.
Symbolische Provokation als Strategie
Die Deutschlandflagge dient der Kampagne als bewusst eingesetztes Symbol. Das Hissen der Fahne ist rechtlich unproblematisch, wird hier jedoch genutzt, um Reaktionen hervorzurufen, die anschließend in sozialen Netzwerken weiterverbreitet werden. Die Strategie setzt darauf, Konflikte sichtbar zu machen und politisch auszuschlachten.
Digitale Mobilisierung mit realen Folgen
Für Sicherheitsbehörden und Beobachter wie CeMAS zeigt der Fall Ludwigslust, wie schnell digitale Kampagnen in konkrete Aktionen im öffentlichen Raum übergehen können. Die Grenzen zwischen bürgerlichem Protest und rechtsextremer Agitation verschwimmen dabei zunehmend. Die Kampagne verdeutlicht, wie Online‑Mobilisierung gezielt genutzt wird, um politische Botschaften im Alltag zu verankern und gesellschaftliche Spannungen zu verstärken.