Im Grunde ist es im Klubfußball eine schlechte Nachricht, wenn mitten in der Saison gleich zwei Kontinentalturniere stattfinden.
Wenn die Stammkräfte auf der ganzen Welt verteilt sind, kann vieles passieren. Zwischen den ganzen Flugmeilen könnten sie sich verletzen oder, vielleicht noch schlimmer: Der Flow eines Teams kann zerbrechen, wenn zentrale Stützen nicht an ihrem eigentlichen Ort sind. Für den weiteren Verlauf einer Spielzeit ist beides nicht sonderlich hilfreich.
Aber es gibt auch Ausnahmen. Bei Werder Bremen sehen sie in der Herausforderung eine Chance. Im Norden verbinden sie mit dem Afrika-Cup eine große Hoffnung. Dort soll der dauerverletzte Neuzugang Naby Keïta endlich das schaffen, was er in den vergangenen Monaten nicht so oft gemacht hat: echte Spielpraxis sammeln. Und das als Kapitän der Nationalmannschaft von Guinea.
Der Afrika-Cup in der Cote d’Ivoire (13. Januar bis 11. Februar) und der Asien-Cup in Katar (12. Januar bis 10. Februar) werfen schon jetzt nicht nur für Werder Bremen ihre Schatten voraus. Die meisten Bundesliga-Klubs stellen sie vor Herausforderungen – besonders groß sind sie bei den beiden Überraschungsteams. Für Bayer Leverkusen und den VfB Stuttgart kommt die Reisewelle zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, weil viele, die für ihren Erfolg verantwortlich sind, fehlen werden. Die verbliebenen Akteure müssen beweisen, dass ihr Höhenflug auch nachhaltig ist. Das muss aber nicht nur schlecht sein.
Für Leverkusen können die kommenden Wochen im Meisterrennen entscheidend sein. Im allerschlimmsten Fall fehlen Angreifer Victor Boniface (Nigeria) sowie die Stammverteidigung um Odilon Kossounou (Cote d’Ivoire) und Edmond Tapsoba (Burkina Faso) bis Mitte Februar. Es ist ausgerechnet die Zeit, in der der Tabellenführer gegen die Titel-Konkurrenten von Rasenballsport Leipzig (20. Januar) und dann auch noch gegen Serienmeister FC Bayern (10. Februar) spielt.
Niemand weiß, ob Leverkusens Serie von 25 Pflichtspielen ohne Niederlage auch diese Zeit übersteht. In der feinjustierten und erfolgreichen Maschine, die das Team unter Trainer Xabi Alonso geworden ist, könnte es ein Risiko sein, im laufenden Betrieb Teile zu wechseln. Über die meiste Zeit der Hinrunde hat der Spanier kaum rotiert und dem immergleichen Gerüst als erste Elf vertraut.
Und dennoch geht Alonso nicht unvorbereitet in diese schwierige Phase. Der Spanier testete beim 4:0-Erfolg gegen den VfL Bochum das erste Mal eine neue Abwehrdreierreihe, die sich um den deutschen Nationalspieler Jonathan Tah formierte. Das hat auch gut funktioniert. Dabei kam die Bayern-Leihgabe Josip Stanišić zum Einsatz, dem künftig eine größere Rolle zuteilwerden könnte.
Zudem hielt das letzte Pflichtspiel vor der Winterpause noch eine erfreuliche Nachricht für Alonso parat. Er musste nicht nur die Innenverteidigung umbauen, sondern mit 16-Tore-Mann Boniface geht zusätzlich noch der wichtigste Angreifer auf Reisen. Da kommt die erfolgreiche Startelf-Rückkehr des genesenen Torjägers Patrik Schick ganz gelegen. Nach 14 Monaten ohne Auftritt in der ersten Elf traf er direkt dreifach. Darin liegt die Chance: Laufen die Wochen reibungslos, hat Leverkusen bewiesen, dass es tatsächlich Meisterpotenzial hat.
Beim VfB Stuttgart ist die Lage eine andere. Dort geht es eher darum, den Schwung nicht komplett zu verlieren. Nach einer beeindruckenden Hinrunde steht das Team von Sebastian Hoeneß auf dem dritten Tabellenplatz und ist weit von der Abstiegszone entfernt. Dort hat sich der Klub aus Benztown vor allem in den vergangenen Jahren herumgetrieben. Und mit den 34 Punkten, die sie in den ersten 16 Spielen gesammelt haben, werden sie damit auch im Rest der Saison wenig zu tun haben.
Das sei nun eine „ungewöhnliche Situation, mit der wir umgehen wollen und müssen“, erklärte Sportdirektor Fabian Wohlgemuth unter der Woche. Dass seine Mannschaft nachlassen könnte, fürchtet der Sportchef nicht. „Wenn ich in die Gesichter der Spieler gucke, ist niemand mit der Ausbeute, die wir in der Hinrunde schon gemacht haben, zufrieden“, sagte Wohlgemuth. Man wolle weiter Gas geben und punkten. „Wir sind ambitioniert“, erklärte der gebürtige Berliner. Das Saisonziel Nichtabstieg ist größeren Erfolgsaussichten gewichen.
Mit den beiden Kontinentalturnieren könnte das jedoch schwieriger werden. Denn es fehlen nicht nur Hiroki Ito (Japan), Woo-yeong Jeong (Südkorea) und Silas (DR Kongo): Die Sorge, dass Serhou Guirassy (Guinea) nicht nur nach Westafrika reist, sondern das Transferfenster (bis Ende Januar geöffnet) nutzt, um die Stuttgarter zu verlassen, ist groß. Guirassys 19 Pflichtspieltore trugen maßgeblich dazu bei, dass Stuttgart nichts mit dem Abstieg zu tun hat und im DFB-Pokal-Viertelfinale steht. Aber auch dazu, dass der FC Bayern und andere Großklubs an ihm Interesse gefunden haben. Sein Vertrag läuft zwar noch bis Mitte 2026, doch eine Ausstiegsklausel könnte dafür sorgen, dass er nach dem Afrika-Cup nur nochmal in Stuttgart landet, um seine Sachen abzuholen.
„Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet“, versicherte Sportdirektor Wohlgemuth noch beim Trainingsauftakt der Schwaben. Was Guirassy angeht, gebe es „seit dem letzten Bundesliga-Spieltag nichts Neues“ und „keinen neuen Stand“. Der Klub sei „auf alles vorbereitet. Mehr als das können wir nicht tun“.
Und zum Glück steht mit Denis Undav der nächste Knipser bereit. Undav hat sich erst kürzlich für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft entschieden und hofft darauf, dass auch sein Name darunter ist, wenn Bundestrainer Julian Nagelsmann Mitte Mai den finalen Kader für die Europameisterschaft verkündet. Als Guirassy in der Hinrunde verletzt ausfiel, füllte er die Lücke -mit Erfolg. Der Afrika-Cup kann für ihn eine Chance sein.