Die SPD hatte sich gerade von ihrem schlechten Wahlergebnis ein wenig erholt. Da veröffentlichen einige Politiker der Partei am Dienstag ein „Manifest“. Darin fordern unter anderem der ehemalige Fraktionschef Rolf Mützenich und der Außenpolitiker Ralf Stegner eine „Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik“ und Gespräche mit Russland als Alternative zur Aufrüstung der Bundeswehr.
Zudem erklären sie das Fünf-Prozent-Ziel der Nato für „irrational“. Und das, kurz nachdem Stegner sich mit russischen Vertretern zu einem „Meinungsaustausch“ in Baku getroffen hatte. Vor allem aber zwei Wochen vor dem Nato-Gipfel und dem Bundesparteitag der SPD, bei dem sich die Partei personell erneuern will. Einen „Diskussionsbeitrag“ nennt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch das „Manifest“. Deutlichere Worte findet der innenpolitische Sprecher der SPD, Alexander Fiedler, bei ntv. Er sei „irritiert, verstört und verärgert“, sagt er.
Bei Markus Lanz ist am Mittwochabend die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger von der SPD zu Gast. Auch sie kann dem Papier der SPD-Linken nicht viel abgewinnen, wirkt aber dabei sehr gelassen. Die Diskussion habe es schon länger in ihrer Partei gegeben, sagt sie. Von den Positionen Mützenichs und Stegners sei sie nicht überrascht gewesen. „Sicherlich ist das vor dem Parteitag ein spannender Moment, aber es ist nicht illegitim, bestimmte Meinungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Ob sie dann mehrheitsfähig sind und eine breite Unterstützung finden, werden wir sehen.“
Sie sei dafür, dass Deutschland die Verteidigungsfähigkeit ausbauen und Russland die Stirn bieten müsse. „Eine Zusammenarbeit mit Putins Russland ist gerade jetzt nicht der richtige Ansatz, denn Präsident Putin bewegt sich ja außerhalb dessen, was man überhaupt als Grundlage nehmen kann“, so die SPD-Politikerin. Und sie fügt hinzu: „Für eine Zusammenarbeit braucht es zwei, und ich kann nicht erkennen, dass Putin in irgendeiner Weise auf Zusammenarbeit angelegt ist.“ Die Politik der SPD sei klar, sagt Rehlinger. „Wir werden auch das aushalten und vor allem diese Fragen nach vorne mit Realpolitik auflösen“, so Rehlinger.
Rehlinger fordert Lösungen für Grenzregionen
„Mich würde nicht wundern, wenn so ein Streit auch in der Migrationspolitik ausbricht“, sagt Daniel Thym bei Markus Lanz. Der Professor von der Universität in Konstanz ist Migrationsrechtler und Leiter des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht.
In der Sendung passiert das erst einmal nicht. Die SPD-Politikerin Rehlinger hält sich mit Kritik an Innenminister Dobrindt und seiner Politik weitgehend zurück. Der CSU-Politiker hatte sofort nach seinem Amtsantritt die Kontrollen an den Grenzen verschärft. Das führe vor allem an der Grenze nach Luxemburg zu längeren Staus, berichtet Rehlinger. „Mein Vorschlag ist zu sagen, man macht eine gemeinsame Bestreifung in einem Grenzkorridor. Dann habe ich nicht die Staus punktuell, es könnte sogar das Aufdeckungsrisiko noch erhöhen, weil man nicht weiß, wann man wen antrifft. Ich glaube, es gibt klügere Modelle, als viele Bundespolizisten auf nicht mehr vorhandene Schlagbäume aufpassen zu lassen.“ Das aktuelle Grenzmodell der Bundesregierung sei nichts für die Zukunft, vor allem, wenn man das europäische Grenzsystem umgesetzt habe, das härtere Kontrollen an den EU-Außengrenzen vorsieht. „Es muss eine Perspektive geben, um da rauszukommen. Die Grenzräume leben ja davon, dass es eine Durchlässigkeit gibt und nicht davon, dass wir die Grenzen nochmal alle hochziehen, von denen wir gehofft hatten, dass wir sie eigentlich überwunden haben.“
Auch Migrationsrechtler Daniel Thym glaubt nicht, dass die Kontrollen an den Grenzen im Moment wirklich erfolgreich sind. Die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen können laut Thym nur ein erster Schritt sein, „den man vorübergehend macht“. Die Bundesregierung müsse weitere Schritte gehen. „Was wir jetzt erleben, kann nur der Startschuss für eine Änderung in der Asylpolitik sein“, sagt er.
Die Zurückweisungen an den Grenzen seien ein Signal, mit dem die Regierung zeigen wolle, dass Deutschland eine andere Asylpolitik will. Das Signal werde auch von Asylbewerbern verstanden, die noch nicht in der Nähe Deutschlands seien, vermutet Thym.
Ein Problem sei jedoch, dass man die Grenzkontrollen juristisch nicht genug vorbereitet habe, kritisiert Thym. „Es gibt einige, die gesagt haben, das sei ganz einfach, weil es im deutschen Gesetz stehe. Um das Europarecht müsse man sich nicht kümmern, denn das funktioniert sowieso nicht. Das hat nach dem Urteil von Berlin Schiffbruch erlitten.“ Das Verwaltungsgericht hatte dort die Zurückweisungen von drei Geflüchteten im Einzelfall für rechtswidrig erklärt.
Thym weiter: „Aber es gibt noch eine zweite Möglichkeit, und zwar die Ausnahmeklausel in den Europäischen Verträgen, wo man offenbar bisher keine vernünftige Begründung vorbereitet hat. Das wird jetzt nachgeliefert werden. Und das ist die juristische Hoffnung, die Herr Dobrindt und die Regierung haben können: Dass dann, wenn man sie liefert, die Gerichte nicht mehr ganz so klar in der Ansage sind.“ Würde eine passende Begründung für eine Notlage vorgelegt, sieht Thym eine Chance von 20 bis 40 Prozent, dass die Gerichte das deutsche Vorgehen an den Grenzen zumindest für einige Zeit akzeptieren könnten. „Die Begründung wären in der Sache nicht die Asylantragszahlen, die gehen ja schon länger zurück. Die Begründung wäre die Herausforderungen, die man bei der mittel- und langfristigen Integration hat – im Arbeitsmarkt, Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt. Und die sind ja immens.“
Grundsätzlich hält Thym den Kampf gegen illegale Migration und die Mittel, die die Bundesregierung dafür einsetzt, für richtig. Thym fordert: „Wir müssen verinnerlichen, dass wir als Einwanderungsland Migration steuern und dass es nicht illegitim ist, dass man da auch Regeln hat und durchsetzt“.