Mit Transferjournalismus kann Fernando Carro nicht viel anfangen. Er ist sogar richtig verärgert, wenn er mal wieder irgendwo irgendwas lesen muss, wer angeblich mit wem verhandelt, wer sich angeblich mit wem auch immer einig ist. Für Fernando Carro, den Boss von Bayer 04 Leverkusen, läuft die schlimmste Zeit des Jahres. Denn traditionell kreisen nun die Gerüchte-Geier über dem Transfermarkt und stürzen sich auf alles, was zuckt.
Und unterm Bayer-Kreuz herrscht in diesem Sommer wildes Gezucke. Nach knapp drei Jahren, die die Werkself endgültig von den quälenden Fesseln des „Vizekusen“-Images befreiten, blickt Bayer plötzlich in ein schwarzes Loch. Was passiert in diesem Sommer? Was wird aus der Mannschaft, auf die Europa staunend blickte? Vieles weiß man zumindest offiziell noch nicht. Nur dass Xabi Alonso den Verein verlassen wird. Er wird Real Madrid übernehmen, auch wenn das noch niemand offiziell aussprechen will.
Xabi Alonso war der Leverkusener Leuchtturm. Er raste auf der Überholspur zum Supertrainer-Olymp. Dort ist einem der Platz auf Lebenszeit zwar nicht garantiert, wie etwa Thomas Tuchel, Pep Guardiola oder auch Ikone Carlo Ancelotti feststellen müssen, aber während der Zeit dort, steigert sich der Marktwert immens. Das erlebt auch Hansi Flick, der aktuell auf dem Supertrainer-Thron sitzt. Schöne Geschichte für Europa: In der nächsten Saison duellieren sich die beiden Giganten mit dem FC Barcelona und Real Madrid.
Fàbregas kommt offenbar doch nicht
Dass der 43 Jahre alte Spanier Leverkusen verlässt, nimmt dem Standort reichlich Strahlkraft. Wie attraktiv es sein wird, bei Bayer zu bleiben oder zu Bayer zu wechseln, wird maßgeblich vom neuen Trainer bestimmt. Wer Nachfolger von Alonso wird, ist aber weiterhin nicht geklärt. Mit Cesc Fàbregas, ebenfalls Spanier, ebenfalls ein Weltmeister, wurde ein spannender Name auf den heißen Platten der Gerüchteküchen gekocht. Doch zu einem Wechsel soll es nicht kommen. Der 38-Jährige soll wohl bei Como 1907 (Serie A) bleiben wollen, trotz kryptischer Ansagen. Als ausgemachte Sache sollte man das alles nicht betrachten, nicht in Zeiten kreisender Geier.
Die haben sich auch schon auf Erik ten Hag gestürzt, auf Barcelonas Legende Xavi und auf den mittlerweile fast überall gehandelten Sandro Wagner. Es ist ein wirklich wildes Gezucke. Die Trainerfrage hat bei der Werkself höchste Dringlichkeit. „Wir würden uns natürlich freuen, wenn wir in diesem Monat in der Lage wären, das zu entscheiden und zu verkünden“, sagte Carro. „Wir müssen danach natürlich in der Transferperiode einen Kader zusammenbauen. Und es ist viel einfacher, das zusammen mit einem Trainer zu machen. Von daher ist die Trainerentscheidung vielleicht das erste Puzzlestück, bevor wir dann die Kaderentscheidungen treffen.“
Tah zum FC Bayern? Was wird aus Wirtz?
Eine ist indes schon gefallen: Jonathan Tah, der Abwehrchef, verlässt den Klub. Der FC Barcelona galt als heißer Kandidat, hat aber offenbar kein Geld. Das wäre eine gute Nachricht für den FC Bayern, der ja offenbar unbedingt mal wieder einen neuen Abwehrchef sucht. Dayot Upamecano und Minjae-Kim soll diese Rolle doch nicht zugetraut werden.
Die wichtigste Personalie bei Bayer aber ist Florian Wirtz. Der 22-Jährige macht nahezu die ganze Fußballwelt verrückt. Beim FC Bayern sind sie in Person von Uli Hoeneß vom Wunsch ganz besessen, den Spielmacher nach München zu holen. Ob die angeblich vom Bayer-Aufsichtsrat ausgerufenen 150 Millionen Euro samt vermutlich üppigem Gehalt vom Rekordmeister wirklich zu stemmen sind? Mindestens fraglich. Denn eigentlich ist der Klub, ist Sportvorstand Max Eberl, zum Sparen aufgerufen. Dieses Vorhaben würde bei Wirtz scheitern und ganz sicher auch bei Tah, der mit 29 Jahren nicht nur auf ein Top-Perspektive aus ist, sondern auch auf ein Top-Gehalt.
Angeblich aber soll sich Wirtz mit dem FC Bayern geeinigt haben, was Carro auf die Palme bringt: „Ich weiß, dass es nicht stimmt und es ärgert einen, wenn man Meldungen liest, die nicht der Wahrheit entsprechen.“ Bayer habe, so Carro, mit Wirtz und mit seinen Eltern ein vertrauensvolles Verhältnis. „Natürlich muss sich Florian Gedanken machen über seine Zukunft, aber uns ist zumindest nicht bekannt – und davon kann ich ausgehen, dass es richtig ist – dass sich für ihn etwas entschieden hat“.
Bei der höchsten Summe, die jemals für einen deutschen Fußballer gezahlt werden würde, würde Manchester City derweil eher nicht zucken. Und wenn sie helfen, den klappernden Riesen wieder zum Laufen zu bringen, dann ist das halt so. Bayer und City sollen sich angeblich einig sein. Wieder so eine wilde Meldung, es ist eine wirklich anstrengende Zeit. Einen Tag später heißt es, der FC Liverpool mischt plötzlich mit. Sollte Wirtz bleiben, was einer mittleren Sensation gleichkommen würde, würde das Leverkusen für potenzielle Neuzugänge höchst interessant halten. Er hebt die Mannschaft auf ein anderes Level. Als er im Frühjahr verletzt war, wurde das offensichtlich.
Ersetzt Frimpong eine Legende in Liverpool?
In der vergangenen Saison, die Bayer zum ungeschlagenen Meister machte, zum Pokalsieger, zum Europa-League-Finalisten, war Wirtz die Lokomotive, die den Bayer-Zug rasant beschleunigte. Es war eine unfassbare Geschichte, die die Mannschaft zu erzählen hatte. In der Besessenheit, die Saison ohne Niederlage zu beenden, wuchs das Team stets über sich hinaus. So viele Spieler, die noch keine großen Titel gewonnen hatten, waren bereit, alles und noch viel mehr aus sich herauszuschrauben, um das Historische möglich zu machen. Sie machen sich damit interessant für größere Aufgaben.
Wie Jeremie Frimpong, der wahnsinnig schnelle Schienenspieler. Der Niederländer soll kurz vor einem Wechsel zum FC Liverpool stehen und dort diemit gellenden Pfiffen ablösefrei verabschiedeteKlublegende Trent Alexander-Arnold ersetzen. Der Außenverteidiger geht zu Real Madrid, zu Xabi Alonso. Möglich macht der Frimpong-Abgang offenbar auch eine Ausstiegsklausel, die bei rund 40 Millionen Euro liegen soll. Gegenüber RTL/ntv sagte Carro: „Jeremie hat einen langen Vertrag bei uns, der hat zwar auch eine Ausstiegsklausel, aber uns ist zurzeit von einem Wechsel nichts bekannt.“
Alonso weg, Tah weg, Wirtz vermutlich weg, eventuell Frimpong und auch eine neue Nummer eins fürs Tor soll kommen, die Meistermannschaft von 2024 bricht endgültig auseinander, die große Geschichte ist längst auserzählt. Schon in dieser Saison konnte das Team ihr unfassbares Niveau nicht mehr halten. Aber wie groß wird der Umbruch tatsächlich? Alejandro Grimaldo, auch so ein Schlüsselspieler, hatte schon vor Wochen verkündet, dass er gerne wieder in der spanischen Heimat spielen würde. Gerüchte gab es auch um Granit Xhaka, Galatasaray soll interessiert gewesen sein, aber das Thema wurde schnell abgeräumt. Bleibt noch Piero Hincapie. Aus Spanien heißt es, Xabi Alonso könnte ihn mit nach Madrid nehmen, dort werden neue Verteidiger gesucht.
Der Abgang von Alonso könnte in Leverkusen indes auch Spieler dazu bewegen, mögliche Transfergedanken zu verwerfen. Jonas Hofmann etwa klagte zuletzt über mangelnde Spielzeit und wusste nicht warum. Auch Robert Andrich war nicht mehr gesetzt. Und dann ist da noch die Stürmerfrage: Im Winter wollte sich Victor Boniface in Richtung der saudischen Millionen-Näpfe aufmachen, sein Transfer scheiterte auf der Zielgeraden. Womöglich gibt es nun einen neuen Anlauf. Und was wird aus Patrik Schick? Er war in der Rückrunde durchaus verärgert, dass er in wichtigen Spielen nur Nebenrollen bekam, obwohl er zuverlässig traf.
Immerhin: Leverkusen baut bereits vor, baut die nächste Generation auf. Mit Ibrahim Maza holte Bayer eines der größten Spielmacher-Talente Deutschlands von der Hertha aus Berlin. Namen wie das türkische Talent Arda Güler und Nico Paz kuriseren in den einschlägigen Medien. Und mit Tim Oermann vom VfL Bochum soll das ein großes Abwehrtalent kommen, aber erst noch einmal verliehen werden. Und dann ist da noch Jadon Sancho, mit der ehemaligen Dortmunder Fußballsensation kreisen die Gerüchte-Geier über der BayArena.