Die Idee vom ewigen Leben ist so alt wie die Menschheit selbst. Ob in Theologie oder Philosophie, Kunst oder Kultur: Unsterblichkeit ist ein Menschheitstraum – und der schien nie zuvor realistischer als heute. Die Tech-Elite investiert Milliarden in die Erforschung der Langlebigkeit, kurz: Longevity. Google gründete bereits 2013 das Biotech-Unternehmen Calico, das die menschliche Alterung stoppen soll. Amazon-Gründer Jeff Bezos investiert ins Startup Altos Labs und hofft auf die eigene Unsterblichkeit. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat das Ziel ausgegeben, alle Krankheiten zu besiegen.
Ihre Hoffnung liegt vor allem auf neuen Technologien. Das Geld trifft auf die Elite der Wissenschaft, selbst Nobelpreisträger forschen in den Laboren an Mitteln, die den Verfall des Körpers stoppen oder sogar umkehren können. Hoffnungsvolle Ergebnisse lieferten Genmanipulationen an Mäusen, deren Leben sich dadurch um 25 bis 40 Prozent verlängerte. Neben altruistischen Motiven dürften bei den Bemühungen auch die finanziellen Aussichten eine Rolle spielen: Das Versprechen von Langlebigkeit eröffnet einen Markt, auf dem potenziell ausnahmslos alle Menschen die Zielgruppe bilden.
Normalsterblichen können dabei Fragen nach dem Warum kommen: Lohnt sich das? Bin ich mit 120 noch so fit wie mit 50? Verlängert sich nur die Lebensspanne oder auch die qualitativ lebenswerte Zeit? Oder sind das alles nur Allmachtsfantasien von superreichen Spinnern, die den Tod austricksen wollen?
Die Definition von Longevity ist tatsächlich fließend. Den einen geht es darum, möglichst gesund zu altern, was neben einem aktiven Lebensabend auch einen positiven Nutzen für das Gesundheitssystem hätte. Je weniger Menschen krank und pflegebedürftig werden, desto besser für alle. Andere wollen die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich erhöhen, die Rede ist von 120 bis 150 Jahren. Nach Unsterblichkeit strebt in der Langlebigkeits-Community momentan nur eine Minderheit.
Obwohl Sterblichkeit (noch) zum Lebenszyklus gehört, kursiert in der Forschung die Frage, ob das Altern selbst als Krankheit klassifiziert werden sollte. „Grundsätzlich denke ich, Altern ist keine Erkrankung per se, aber es kann zu gewissen Erkrankungen führen“, sagt der österreichische Langlebigkeitsforscher Slaven Stekovic im Gespräch mit ntv.de. Entscheidend sei die Diskrepanz zwischen chronologischem und biologischem Alter. „Gefährlich wird es, wenn das biologische Alter zu hoch ist.“
Über unsere Gesundheit und Lebenserwartung kann das kalendarische Alter kaum Aufschlüsse geben. Wichtig fürs gesunde Altern sind etwa die Blutgefäße, die den Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Ihre Beschaffenheit lässt sich durch den Lebensstil verbessern.
Höheres Alter, mehr Krankheiten
Die Lebensspanne des Menschen hat sich in den vergangenen rund 150 Jahren dank Medizin, Hygiene und Arbeitsbedingungen bereits nahezu verdoppelt. Laut der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) verbringen die Menschen in Deutschland durchschnittlich elf Jahre ihres Lebens krank, besonders während der letzten Lebensjahre. Mit dem höheren Alter kamen neue Krankheiten, etwa des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes, Demenz oder Krebs. Wer sagt, dass es nicht weitere neue Erkrankungen und Gebrechen hervorruft, wenn es gelingt, die Lebenszeit um 25 Jahre zu erweitern?
„Hinter jeder Tür, die wir öffnen, verstecken sich fünf weitere Türen“, sagt Stekovic, der einräumt: „Wir werden mit neuen Problemen konfrontiert sein.“ Dennoch könne ein gesunder Lebensstil Erkrankungen vorbeugen. Der sei auch für jene unerlässlich, die mit Blick auf vitale oder alt gewordene Eltern auf die eigenen guten Gene verweisen. Die Gene sind für gesundes Altern nicht entscheidend – und wohl auch bei den Eltern nicht Grund ihres hohen Alters.
„Unsere Elterngeneration war aktiver, als wir glauben“, sagt Stekovic. „Dieses bequeme Leben, das wir heute führen, gibt es noch gar nicht so lange.“ Früher seien die Menschen mehr Schritte am Tag gelaufen und hätten sich – nicht zwangsläufig freiwillig oder bewusst – gesünder ernährt. „Wenn wir den Einkaufskorb aus 1980 mit dem aus 2000 oder 2020 vergleichen, sehen wir drastische Unterschiede, zum Beispiel beim Kauf von Rohkost. Die wurde abgelöst von hoch prozessierten Lebensmitteln, die uns krank machen.“
Seine eigenen Ziele hat Stekovic bereits an persönliche Prioritäten angepasst: „Früher wollte ich 115, 120 werden“, sagt der Molekularbiologe. Das habe er auf 105 Jahre gesenkt, denn ganz auf Genuss verzichten wolle er nicht. „Beim Blick auf die Daten zum Alkoholkonsum habe ich entschieden: Die zehn Jahre schenke ich gerne für ein gelegentliches Glas von einem guten österreichischen Wein.“
Die heute durchschnittliche Lebenserwartung von 78,2 (Männer) beziehungsweise 83 Jahren (Frauen) würde er auch mit 105 deutlich übertreffen. Was verspricht er sich davon? „Ich möchte auch im hohen Alter gesundheitlich und geistig in der Lage sein, neuen Interessen zu folgen, und dass meine Freiheit möglichst wenig eingeschränkt ist.“ Ein zuverlässig pumpendes Herz, stabile Knochen, funktionierende Muskeln, „damit ich nicht abhängig bin von zu vielen externen Eingriffen“.
Gesundheit lässt sich kostenlos fördern
Als Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben bis ins Alter beschreibt Stekovic in seinem 2024 veröffentlichten Buch „Jung bleiben, alt werden“ vier Säulen: Bewegung, gesunde Ernährung, erholsamer Schlaf und soziale Kontakte. Die DGIM zählt zusätzlich den Verzicht auf Tabakkonsum und die regelmäßige Kontrolle von Blutzucker, Blutdruck, Cholesterin und Gewicht auf. Maßnahmen, die unsere Gesundheit fördern und praktisch kostenlos sind.
Wer die körpereigenen Alterungsprozesse stoppen will, kann aber ebenso gut ein kleines Vermögen loswerden: mit Gen- und Hormonanalysen, unzähligen Nahrungsergänzungsmitteln, Sauerstoff- oder Stammzelltherapien. Die Kältetherapie bei minus 140 Grad in einer Kryokammer beschreibt Stekovic in seinem Buch als Simulieren eines Notzustands für den Körper.
Noch sind solche Anwendungen teure Privatleistungen. Mit seinem Wiener Unternehmen Aeterna Omics Health bietet Stekovic Beratung an, prüft molekulare und zelluläre Prozesse im Körper, den es dann mit gezielten Korrekturen zu optimieren gilt. Das Erstgespräch kostet 400 Euro. Bleibt gesundes Altern also Wohlhabenden vorbehalten? „Jede Innovation kostet zu Beginn viel Geld“, so Stekovic. Wer diese Anwendungen heute in Anspruch nehme, finanziere damit den Fortschritt. „In zehn oder zwanzig Jahren wird das für alle erschwinglich sein.“
Schwarze Schafe
Weil das Einwerfen einer Tablette mutmaßlich bequemer ist, als sich zum Sport zu quälen, liegen die Hoffnungen der Longevity-Branche auch auf Präparaten. Das ursprüngliche Diabetes-Medikament Ozempic kennt man heute als Abnehmspritze. Aktuell wird Metformin, bislang ebenfalls Diabetes-Patienten vorbehalten, auf seine Wirkung auf Alterungsprozesse getestet.
Hinzu kommen falsche Versprechen auf schnelle und einfache Erfolge. Influencer wie der US-Investor Bryan Johnson, bekannt durch die Netflix-Doku „Don’t die“, berichten auf Social Media einem Millionenpublikum vom eigenen Longevity-Lebensstil – und bieten praktischerweise gleich eigene Präparate zum Kauf an. Ein Mittel aus dem Johnson-Kosmos soll bei Studienteilnehmenden zu Übelkeit, Erbrechen, einem starken Absinken des Testosteronspiegels und Anzeichen von Prädiabetes geführt haben. Nebenwirkungen, die laut „New York Times“ verschwiegen wurden.
„Es werden auf Social Media Fake News verbreitet und Methoden ohne vorhandene Evidenz unter die Menschen gebracht“, sagt Stekovic. Manche Technologien und Mittel hätten keinen Nutzen oder sogar gesundheitsschädliche Folgen. „Dahinter stecken große Marketingmaschinerien, die diese Produkte und Dienstleistungen auf den Markt pushen.“ Wir müssten lernen, Sachen kritisch zu betrachten und darauf achten, dass ein versprochener Nutzen wissenschaftlich belegt sei.
Wem das zu unübersichtlich oder die Kryokammer noch zu teuer ist, kann sich auf die vier Säulen konzentrieren. Etwas mehr Gemüse essen, eine Stunde früher ins Bett gehen: „Es ist unspektakulär, aber ein bisschen Disziplin und Konsequenz sind total wirksam“, sagt Stekovic. Studien zeigten, dass sich auch bei 80-Jährigen, die nie Sport getrieben hätten, schon nach sechs Wochen durch regelmäßiges, moderates Gehen positive Wirkungen einstellten. „Für unsere Gesundheit ist es nie zu spät, mit Langlebigkeit zu beginnen. Man kann immer etwas tun, und das ist das Schöne daran.“