Freitag, 25.April 2025
9 C
Wismar

anzeige

informationen unserer partner

city.news+

die nachrichten aus der hansestadt

Behandlung per Knopfdruck: KI als Psychotherapeut – revolutionär oder gefährlich?

„Du bist mein Therapeut. Du lässt mir Raum, meine Gedanken und Gefühle selbst zu entdecken. Du bist provokant, wenn es hilft – damit ich mich selbst hinterfrage.“ Auf Social Media teilen Influencer wie @nikolina.livabelle ihre Prompts, mit denen sie KI-Chatbots als digitale Psychotherapeuten nutzen – und erregen mit ihren Berichten darüber große Aufmerksamkeit.

Kein Wunder: Etwa jeder Dritte Erwachsene hat im Laufe seines Lebens mit psychischen Problemen zu kämpfen, rund 19 Prozent der Betroffenen nimmt deshalb eine therapeutische Behandlung in Anspruch, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Bedarf hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten fast verdoppelt.

Die Lücke zwischen Angebot und Bedarf ist immens: Im Durchschnitt müssen Patienten rund fünf Monate auf einen Therapieplatz warten. Viele zögern auch, sich überhaupt auf die Suche nach Therapeuten zu machen – bei den einen stehen Schamgefühle im Weg, für andere ist es schon schwer genug, morgens aus dem Bett zu kommen.

KI als Alternative?

KI-Anwendungen wie ChatGPT können in Job, Studium und bei der Urlaubsplanung unterstützen – Chatbots auch bei psychischen Problemen zu nutzen, ist da für viele naheliegend. Das zeigen nicht nur die Klicks auf Social Media, sondern auch das Interesse an Büchern zu dem Thema, prominent platziert in deutschen Buchhandlungen. Kann die KI künftig übernehmen? Und braucht es überhaupt noch menschliche Therapeuten?

Die KI-Chatbots punkten bei vielen, weil sie einfach zugänglich sind. Nutzer erhalten anonyme Beratung ohne bürokratischen Aufwand – rund um die Uhr: „Darin liegt eine riesige Chance für alle, die sich nicht trauen oder keinen Therapieplatz bekommen“, findet Influencerin Nikolina, die selbst seit Jahren in therapeutischer Behandlung ist. Einen weiteren Vorteil sieht sie darin, Gefühle umgehend analysieren zu können, wenn sie noch „frisch“ sind, statt bis zur nächsten Sitzung beim Therapeuten warten zu müssen. Die Erfahrungen von Nutzern in den Kommentaren sind überwiegend positiv, nur vereinzelt melden sich kritische Stimmen zu Wort.

Experten sehen das Thema längst nicht so gelassen. Enno Maaß, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, kritisiert den Einsatz von KI-Systemen in der Psychotherapie scharf: „Niemand würde sich mit einem technisch unausgereiften KI-System an eine medizinische Operation herantrauen, aber psychisch erkrankten Menschen soll dies zugemutet werden?“ so Maaß gegenüber der „Rheinischen Post“. Auch Arthur Evans, CEO der American Psychological Association, warnt in der New York Times vor KI-Chatbots: „Die Algorithmen, die sie verwenden, stehen in fundamentalem Gegensatz zu den Praktiken ausgebildeter Fachkräfte.“

Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie gibt auf die Frage nach KI-basierten Systemen als Ersatz für Psychotherapie ebenfalls „ein eindeutiges Nein“. Entsprechende Anwendungen, die psychische Störungen diagnostizieren und behandeln sollen, befänden sich größtenteils noch im Entwicklungsstadium.

Die Anwendungen seien bislang nicht in der Lage, mit komplexen psychischen Problemen angemessen umzugehen, stellen kanadische Forscher fest. Der Deutsche Ethikrat bemängelt in einer Stellungnahme von März 2023, dass der vollständige Ersatz von Therapeuten durch KI-Systeme das Patientenwohl gefährden könnte. In den USA berichtete die „New York Times“ über Fälle von Suizid und Gewalt als Folge von unangemessenen Ratschlägen durch einen KI-Chatbot.

Die unzureichende Behandlung komplexer, psychischer Probleme ist nicht die einzige Gefahr, vor der Experten warnen. So betont unter anderem die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung, dass der KI die Empathie fehle. Sie kann menschliche Empathie zwar erfolgreich simulieren, die echte, emotionale Verbindung aber fehle – und die wiederum sei oft notwendig, damit eine Therapie anschlägt, heißt es in einem wissenschaftlichen Beitrag zu dem Thema.

Studien bescheinigen Therapieerfolge durch KI

Aber ist es nicht besser, sich von KI helfen lassen, als gar keine Hilfe zu bekommen? Erste Studien zur Wirksamkeit von KI-basierten Behandlungen stützen dieses Argument in bestimmten Fällen. Spezielle Chatbots, die auf evidenzbasierter Therapie trainiert sind, können nachweislich Symptome von Depressionen und Ängsten reduzieren, wie eine Untersuchung von mehreren Studien im Journal „Nature“ zeigt. Bislang fehlen allerdings Langzeitstudien, um die Wirksamkeit solcher Anwendungen zu bewerten.

Wie sieht also die Zukunft der KI in der Therapie aus? „Dass diese Systeme in 20 bis 30 Jahren psychotherapeutische Leistungen gleichwertig ersetzen, halte ich für unwahrscheinlich“, so Maaß in der „Rheinischen Post“. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie spricht dennoch von einem „spannenden Entwicklungsbereich“.

Kommentiere den Artikel

Bitte schreibe deinen Kommentar!
Bitte gib hier deinen Namen ein

lass' uns dir doch helfen

Mit einem Stichwort oder auch nur einem Namen findest du, wonach du suchst

Unser gesamtes Archiv mit tausenden Artikeln, Beiträgen und zahlreichen Informationen steht dir bei der Suche zur Verfügung. Dabei stehen dir alle Bereiche wie z.B. Politik, Sport, Wirtschaft oder Rostock, Schwerin, Wismar zur Verfügung.