Für den Einzelhandel sind die Wochen vor Weihnachten traditionell die wichtigste Zeit des Jahres. Fast ein Fünftel des Jahresumsatzes wird in dieser Phase erwirtschaftet. Doch 2025 läuft das Geschäft bislang schlecht. Zwei Drittel der Händler sind laut dem Handelsverband Deutschland (HDE) unzufrieden. Neben der allgemeinen Kaufzurückhaltung spielt auch der wachsende Erfolg chinesischer Billiganbieter wie Temu und Shein eine zentrale Rolle.
Handelsexpertin Julia Thalmann erklärt, viele Kundinnen und Kunden hätten die Plattformen inzwischen als feste Einkaufsalternative im Kopf verankert. Trotz Kritik an Qualität und Sicherheit bleibe der Preis für viele Haushalte das entscheidende Kriterium. Gerade die Belastungen durch Inflation hätten den Trend verstärkt. Nach Schätzungen des HDE erzielen Temu und Shein allein im November und Dezember bis zu eine Milliarde Euro Umsatz in Deutschland. Jeder Euro, der dort ausgegeben wird, fehlt den hiesigen Händlern, auch in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Marktanteil der Portale ist noch vergleichsweise klein, doch ihr Wachstum ist rasant. Shein rangiert inzwischen auf Platz sieben der größten Onlineshops in Deutschland, Temu kletterte bei den Marktplätzen binnen eines Jahres vom elften auf den fünften Platz. Mit personalisierten Startseiten, Gamification und ständigen Rabattaktionen erhöhen die Anbieter die Kaufwahrscheinlichkeit erheblich. Auch die Logistik hat aufgeholt: Lieferzeiten sind deutlich kürzer geworden, Rücksendungen bleiben zwar komplizierter, schrecken aber viele Kunden nicht ab.
Die Paketflut aus China ist enorm. Bereits vor zwei Jahren wurde die Zahl der täglichen Sendungen von Temu und Shein nach Deutschland auf 400.000 geschätzt. 2024 verdoppelte sich die Zahl der in der EU ankommenden Billigpakete auf 4,6 Milliarden, über 90 Prozent davon aus China. Die EU will deshalb schon 2026 Zölle auf Kleinsendungen erheben, die bislang bis zu einem Wert von 150 Euro zollfrei waren. Ob dies den Trend bremst, ist fraglich. Thalmann erwartet, dass internationale Anbieter Wege finden werden, neue Regeln zu umgehen.
Für den deutschen Handel bedeutet die Entwicklung einen tiefgreifenden Strukturwandel. Der klassische Anspruch, Waren zu kuratieren und Qualitätsstandards zu sichern, verliert im Umfeld hypergünstiger Onlineangebote an Sichtbarkeit. Skandale über Schadstoffe oder fragwürdige Produkte ändern das Konsumverhalten nur kurzfristig. Der Komfort des Onlinekaufs, die Routine weniger Klicks und psychologische Effekte wie „Instant Gratification“ überlagern Bedenken.
Langfristig wirft das Fragen nach Nachhaltigkeit und Verantwortung auf. Viele Billigprodukte sind von so geringer Qualität, dass sie schnell entsorgt werden müssen. Der hohe Einsatz synthetischer Materialien erschwert das Recycling zusätzlich. Paradox ist, dass gerade junge Konsumenten, die für ökologische Fragen sensibilisiert sind, besonders stark auf die Angebote von Temu und Shein reagieren. Der schnelle Klick bringt kurzfristige Belohnung – doch diese Form des Konsums hat ihren Preis.